Theodor Fontane (1819–1898) war nicht nur ein bedeutender Schriftsteller des Realismus, sondern auch ein begeisterter Reisender und scharfsinniger Beobachter fremder Kulturen. Seine Zeit in London, wo er zwischen 1852 und 1859 mehrfach lebte, hatte einen prägenden Einfluss auf sein Leben und Werk. In dieser Phase arbeitete er als Korrespondent für verschiedene deutsche Zeitungen und verfasste detaillierte Reiseberichte, die seine Begeisterung für die britische Kultur und Gesellschaft dokumentieren.
Fontanes Aufenthalt in London
Fontane zog erstmals 1852 nach London, nachdem er eine Anstellung als Auslandskorrespondent des preußischen Pressebüros erhalten hatte. Er lebte dort mit Unterbrechungen bis 1859, wobei er die Stadt und das britische Leben eingehend erkundete. Diese Jahre ermöglichten es ihm, die englische Kultur, Politik und Gesellschaft intensiv zu studieren, was später auch in seinen literarischen Werken spürbar wurde.
Eindrücke von London
Fontane war fasziniert von der Dynamik und Modernität Londons, das zu jener Zeit als größte Stadt der Welt und Zentrum des britischen Empires galt. In seinen Schriften äußerte er Bewunderung für die Disziplin und Effizienz der Engländer, die ihm im Vergleich zur deutschen Gesellschaft sehr fortschrittlich erschienen. Besonders beeindruckten ihn:
- Die Größe der Stadt:
Fontane beschrieb London als eine Stadt, die niemals stillsteht. Er bemerkte die endlosen Reihen von Häusern, das geschäftige Treiben und die beeindruckende Größe der Themse. Die urbane Dynamik Londons beeindruckte ihn nachhaltig. - Die britische Gesellschaft:
Er lobte die pragmatische und tolerante Haltung der Engländer, die aus seiner Sicht ein Vorbild für die preußische Gesellschaft sein könnte. Besonders hob er die demokratische Struktur und den Respekt vor individueller Freiheit hervor. - Kulturelle Highlights:
Fontane interessierte sich für die Geschichte und Kunst der Stadt. Er besuchte historische Stätten wie den Tower of London und Westminster Abbey, die ihn tief beeindruckten, und widmete sich intensiv dem britischen Theater.
Reisebericht: „Ein Sommer in London“
Fontane verarbeitete seine Eindrücke von der britischen Hauptstadt in seinem 1854 veröffentlichten Werk „Ein Sommer in London“. Der Bericht ist ein lebendiges Porträt der Stadt und ihrer Bewohner, das durch seine scharfsinnigen Beobachtungen und seinen feinen Humor besticht.
In diesem Reisebericht beschreibt Fontane unter anderem:
- Die Lebensweise und Gewohnheiten der Londoner.
- Den Alltag in der Stadt mit ihren Parks, Droschken und Märkten.
- Politische Institutionen wie das britische Parlament, das ihn mit seiner Diskussionskultur beeindruckte.
Fontane gelingt es, den Leser auf eine Reise mitzunehmen und einen tiefen Einblick in das London des 19. Jahrhunderts zu geben.
London und die englische Kultur in Fontanes späterem Werk
Fontanes Zeit in London hinterließ deutliche Spuren in seinen späteren literarischen Werken:
- England als Vorbild:
Fontane bewunderte die britische Liberalität und die soziale Flexibilität. Diese Einstellung fließt in viele seiner Werke ein, etwa in seinen Romanen, wo er häufig gesellschaftliche Zwänge in Preußen kritisch beleuchtet. - Englische Themen in seinen Balladen:
Fontane griff auch in seinen Balladen immer wieder englische Themen auf. Ein Beispiel ist die berühmte Ballade John Maynard, die auf einer amerikanisch-englischen Geschichte basiert. - Historische Vergleiche:
Seine Beschäftigung mit der britischen Geschichte und Kultur prägte seine Sicht auf Europa insgesamt. In seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg lässt sich Fontanes vergleichender Blick auf nationale Traditionen erkennen.
Fazit
Theodor Fontanes Aufenthalte in London waren eine entscheidende Phase seines Lebens. Sie erweiterten seinen Horizont und schärften seinen Blick für gesellschaftliche und kulturelle Unterschiede. In seinen Reiseberichten wie „Ein Sommer in London“ und in seiner späteren literarischen Arbeit zeigt sich, wie sehr ihn die britische Hauptstadt inspirierte. Für Fontane war London nicht nur eine Metropole, sondern ein Symbol für Fortschritt und Modernität – eine Erfahrung, die seine Sicht auf die Welt und sein Werk nachhaltig prägte.