Mehrsprachigkeit im Werk Theodor Fontanes

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Theodor Fontane wird jenseits der literaturwissenschaftlichen Forschung vor allem als märkischer Schriftsteller rezipiert, was nicht zuletzt auf seine Wanderungen durch die Mark Brandenburg zurückzuführen ist.

Auch die Fontanewege, die auf den Spuren der in diesem Werk beschriebenen Wanderungen durch die ehemalige Mark Brandenburg führen, nehmen die Darstellung des märkischen Dichters auf. Bei alldem geht jedoch unter, dass Fontanes Werke nicht nur durch einen starken Regionalbezug geprägt sind, sondern auch ein anderes zentrales Merkmal aufweisen: die Mehrsprachigkeit.

 

 

Funktionen der Mehrsprachigkeit bei Fontane

 

In den verschiedenen Werken Fontanes nehmen die fremdsprachlichen Passagen unterschiedliche Funktionen ein, die im Folgenden unter Rückgriff auf einschlägige literaturwissenschaftliche Arbeiten erläutert werden sollen.

Auffallend ist dabei, dass grundsätzlich unterschieden werden muss zwischen der Einflechtung etwa französisch- oder englischsprachiger Passagen in die wörtliche Rede der auftretenden Figuren und der Verwendung von Französismen und Anglizismen in Äußerungen der Erzählinstanz.

 

Mehrsprachigkeit als Ausweis der sozialen Stellung

 

Katharina Grätz stellt heraus, dass die „Verwendung anderer Sprachen und Sprachvarietäten […] eine wesentliche Komponente seiner [d.i. Fontanes] Gesellschaftsromane“ (Grätz, 2014; S. 6) bildet und dabei die Funktion einnimmt, „die Pluralität sozialer Stimmen zu Gehör [zu] bringen“ (ebd.). Fremdsprachen und Sprachvarietäten, die in der Figurenrede auftreten, fungieren damit als Ausweis der (faktischen oder angestrebten) sozialen Stellung der jeweils sprechenden Figuren.

Auffällig ist das, wie Grätz an Beispielen herausarbeitet, vor allem in der Kontrastierung unterschiedlicher Sprachhabitus: Die „Opposition von Hochsprache und Dialekt“ (a.a.O. S. 7), ebenso wie die Kontrastierung von englischer und dialektal-deutscher Sprache, weist im Roman Irrungen, Wirrungen auf die jeweilige Stellung der Figur hin und verdeutlicht Standesunterschiede.

Die Sprache nimmt dabei eine besonders herausgehobene Stellung ein, wird etwa der Näherin Lene die Unstandesmäßigkeit ihrer Beziehung zu einem Gardeoffizier erst bewusst, als sie bei einem gemeinsamen Ausflug daran scheitert, die englischen Titel betrachteter Gemälde zu verstehen, was für ihren Partner, seinerseits ein Gemäldesammler, kein Problem darstellt (ebd.).

Zusammenfassen lässt sich damit, dass Mehrsprachigkeit „in Fontanes Romanen weniger im Zeichen räumlicher Mobilität als […] im Zeichen sozialer Zugehörigkeit und standestypischer Bildung“ (a.a.O. S. 13) steht. Dargestellt werden anhand der Polyglossie der Figurenrede also nicht unterschiedliche geographische, sondern vielmehr unterschiedliche soziale Herkünfte der Figuren. Anbei eine Inhaltsangabe zum bekannten Gedicht Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

 

Mehrsprachigkeit als Moment der Sprachreflexion

 

Auffällig ist jedoch, dass fremdsprachliche Passagen sich in Fontanes Werken nicht ausschließlich in der Figurenrede finden. Eva Erdmann stellt etwa heraus, dass teilweise „[s]elbst Paratexte wie Titel und Kapitelüberschriften“ (Erdmann, 2001 S. 34) in französischer Sprache gehalten sind. Damit kann die Funktion der Verwendung fremdsprachlicher Elemente folglich nicht ausschließlich in der Markierung der sozialen Stellung der sprechenden Figur bestehen.

Erdmann weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Erzählinstanz im Stechlin durch die Mischung unterschiedlicher Sprachen und Dialekte Sprachreflexion leiste: Wie steht es um die Leistungsfähigkeit der Sprache und inwieweit ist Sprache in der Lage, sicherzustellen sich durch die Welt bewegen zu können?

Ist sie dafür nötig und – wenn ja – in welchem Ausmaß? In welchem Verhältnis stehen die einzelnen Sprachen zueinander? Der Text „versucht, die Sprache und die Sprachen zu vermessen“ (Erdmann, 2001 S. 45), wobei laut Erdmann nicht nur ein Bezug zur sprachskeptischen Reflexion der Moderne, sondern auch zum Politischen bestehe, der wiederum über die Verwendung der verschiedenen Nationalsprachen hergestellt werde.

Wesentlich für die These Erdmanns ist auch der wieder stärker auf Figurenrede bezogene Befund, dass der Text im Rahmen der Sprachreflexion die Antwort nahelege, „das ‚richtige Wort‘ zu finden“ sei „wichtiger als eine ganze Sprache ‚richtig‘, das heißt: korrekt zu sprechen“ (Erdmann, 2001 S. 45). Anders formuliert: Der Text fokussiert die kommunikativ-situative Funktion von Sprache und stellt unter Ausblendung systematischer Aspekte ebendiese als bedeutsam heraus. Heutzutage wird vor allem durch die Fontanewege in Brandenburg an Theodor Fontane erinnert.

 

Mehrsprachigkeit als Zeitdiagnose

 

Immer wieder wird außerdem auf den zeithistorischen Kontext verwiesen, in welchem die Werke entstanden sind. Als Werke des Realismus bilden sie die außerliterarische Wirklichkeit weitestgehend ab – was auch und vor allem für die Sprache gilt. Zu bemerken ist das etwa an der teilweise am Lautbild orientierten Schreibweise der wörtlichen Rede.

Die Mehrsprachigkeit der Figurenrede kann – wird dieser Kontext vorausgesetzt – auch als Ausdruck des literarischen Realismus und damit als schlichte Abbildung der außerliterarischen Gegebenheiten verstanden werden. Völlig unumstritten ist diese Deutung jedoch nicht, handelt es sich doch immer noch um fiktionale Texte, die somit zwar an die außerliterarischen Diskurse anknüpfen und mit diesen in einem Austauschverhältnis stehen, nicht jedoch unkritisch mit diesen gleichgesetzt oder als reine Abbildung verstanden werden können (Grätz, 2014; S. 6).

 

Fazit: Mehrsprachigkeit bei Fontane

 

Zusammenfassend lässt sich vor allem festhalten, dass die Mehrsprachigkeit ein zentrales Merkmal der Werke Fontanes darstellt und innerhalb dieser verschiedene Funktionen einnimmt. Besonders evident erscheint die Funktion der Markierung der sozialen Rolle, die vor allem in den Gesellschaftsromanen von Bedeutung ist.

 

Quellen:

 

Erdmann, Eva (2001): „Der Sprachvergleich im literarischen Text. Am Beispiel Theodor Fontanes“. In: Albrecht, Jörn; Gauger, Hans-Martin (Hrsg.): Sprachvergleich und Übersetzungsvergleich. Leistungen und Grenzen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Frankfurt am Main.

 

Grätz, Katharina (2014): „‚Four o clock tea‘ – ‚pour la canaille’ – ‚error in calculo’. Polyphonie und Polyglossie in Theodor Fontanes Gesellschaftsromanen”. In: Komparatistik online. Online verfügbar unter: https://www.komparatistik-online.de/index.php/komparatistik_online/article/view/142/103 [29.11.2021].

 

Weiterführendes:

 

Dembeck, Till; Parr, Rolf (Hrsg.). (2017): Literatur und Mehrsprachigkeit. Ein Handbuch. Tübingen.
Khalil, Iman Osman (1978): Das Fremdwort im Gesellschaftsroman Theodor Fontanes. Zur literarischen Untersuchung eines sprachlichen Phänomens. Frankfurt am Main.
Krönert, Lukas (2021): „Sprachliche Relativität und Mehrsprachigkeit“. In: intrapsychisch.de. Online verfügbar unter: https://intrapsychisch.de/sprachliche-relativitaet-und-mehrsprachigkeit [29.11.2021].
Mecklenburg, Norbert (1998): Theodor Fontane. Romankunst der Vielstimmigkeit. Frankfurt am Main.

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